Zwischen Gestern & Morgen

Foto: Gurian

Im tristen November lässt sich tagelang kaum ein Mensch blicken, an schönen Sommertagen stürmen Tausende die Alm. Auf den Wirtsleuten lastet das Erbe, den Gasthof in der vierten Generation unverfälscht zu erhalten, und zugleich die Herausforderung, ständig auf Trends und geänderte Gästewünsche zu reagieren.

Ein Gastro-Leben zwischen Extremen ist das tägliche Brot von Marion und Oliver Mayr. Hier die spannende Geschichte, wie sie Tradition und Innovation unter einen Hut, pardon Gamsbart, bringen.
Drunten der Kochelsee, drüber der Herzogstand, ringsum freies, sanftes Weideland in sattem Grün. Speziell an Frühlingstagen unter blauem Himmel wird jedem klar, dass der Herrgott es gut gemeint hat mit dem "Blauen Land" rund um Murnau im Allgemeinen und mit der Kreut-Alm im Besonderen. "Wenn wir in aller Früh auf dem Balkon stehen – das Tal noch im Nebel – und dann geht zwischen den Bergen die Sonne auf, dann ist es, als hätte der liebe Gott gerade das Licht angemacht", so die Wirtsleute von der Kreut-Alm.
Dass sie dem Herrgott dankbar sind für diesen wunderschönen Fleck, auf dem ihr Jahrhunderte alter (Gast-)Hof steht, zeigt sich an den Kreuzen, die in mehreren Gaststuben hängen. Und sogar für einen kleinen Marienschrein ist Platz. Schließlich gehörte das stattliche Gebäude lange Zeit zum Kloster Schlehdorf – gleich unten im Tal.
Mit Frömmelei sollte man diese Demut vor der Schöpfung nicht verwechseln. Marion und Oliver Mayr stehen mit beiden Beinen fest im Leben, nichts Menschliches ist ihnen fremd. Das erfuhr kürzlich ein Wirt aus München, der die Kreut-Alm für ein "besonderes Fest" buchen wollte. Marion Mayr hörte dem Gast aufmerksam zu, schließlich entfuhr es ihr: "Sag' doch gleich, dass du deinen Freund heiraten willst. Wir haben damit kein Problem."

Wer an einem zauberhaften Frühlingstag die Kreut-Alm besucht, mag sich denken: Bei der Lage haben die Mayrs doch mit der Konzession für ihren Ausflugs-Alpenhof gleich die Lizenz zum Gelddrucken mitbekommen. Wer so denkt, vergisst: Im November, im Januar und im Februar liegen die Einnahmen bei exakt 0 Euro pro Monat. Wenn im Sommer eine Regenwoche kommt, reicht eine Besetzung von 1-2 Leuten in Küche und Service, die dann am ersten Sonnenwochenende aus dem Stand auf 30 bis 40 Mann hochgefahren werden muss. Dann sind Profis gefragt, um dem Massenansturm Herr zu werden. Und natürlich erfordert so ein Anwesen, dessen Ursprünge erstmals anno 763 urkundlich erwähnt worden sind, Unsummen, um es zu erhalten und vor allem, um es weiter zu entwickeln.
Als die Mayrs letztes Jahr im Gastro-Report von dem Wettbewerb um die Hacker-Pschorr-Gastro-Meisterschaft gelesen hatten, war für sie klar: "Da machen wir mit. Man wird ja schnell betriebsblind. Die Chance, von einem Profi gesagt zu bekommen, was verbessert werden könnte, lassen wir uns nicht entgehen lasen." Im Bericht des Prüfers hieß es u.a., dass die Bestuhlung im Biergarten nicht wirklich zum Gesamtcharakter des Hauses passt und dass die WCs durchaus neue Fliesen brauchen könnten.
Für die neue Saison strahlen die WCs tatsächlich in neuem Glanz. Und im Biergarten warten jetzt handwerklich gefertigte, massive Holzbänke und Holztische auf die Gäste. Was das alles kostet? So schlimm war's gar nicht. Ein Wirt vom Starnberger See hatte nämlich per e-mail eine Reihe von Wirtekollegen darüber informiert, dass er sein praktisch neuwertiges, rustikales Außenmobiliar wieder verkaufen wolle, weil es nicht zu seinem Publikum passe, das doch mehr auf Lounge-Chill-Feeling steht.

"Wir waren die Ersten, die auf die e-mail reagiert haben", erzählt Marion Mayr. "Nachdem wir mit dem Wirt einen Termin vereinbart hatten, hab' ich mit unserem Gemüsehändler geklärt, dass dieser die Bänke und Tische mit seinem Laster abholen würde", ergänzt Oliver Mayr. Nachdem das Transportproblem vorab gelöst war, ging's Richtung Starnberg. "Wir nehmen alle 51 Garnituren, zahlen Cash bar auf die Hand und lassen die Bänke und Tische morgen abholen." Dieses Angebot von Oliver Mayr war so verführerisch, dass der Kollege schließlich zustimmte, obwohl die Preisverstellungen anfangs weit auseinander lagen und auch nach dem gemeinsamen Genuss von zwei Flaschen Wein kaum näher gerückt waren.
Man muss halt reden mit den Leuten. Im Gespräch mit dem Briefträger aus Murnau erfuhr Marion Mayr beispielsweise, dass im Oberland ein kleiner, aber feiner Käsehersteller vom Hohenpeißenberg unterwegs sei, der ein Gewölbe sucht, in dem sein Käse reifen kann. Auf der Kreut-Alm war gerade ein Gewölbe frei, der Kontakt schnell hergestellt. Leider stellte sich heraus, dass der Käsehersteller ein größeres Gewölbe suchte. Aber zum Glück hatte der Mann Kostproben dabei. Seitdem hat die Kreut-Alm einen neuen Käselieferanten aus der Region, der u.a. sensationellen Bergkäse herstellt.
Was braucht's zum Glück? Gar nicht so viel. Eigentlich reicht ein Sonnenplatz im Biergarten der Kreut-Alm, vor sich auf dem Teller ein paar dünn geschnittene Scheiben vom tollen Bergkäse, eine resche Brezen, dazu ein frisches Bier von Hacker-Pschorr oder ein gekühltes Adelholzener Mineralwasser oder ein Glas mit edlem deutschen Wein.

Hinter dem unbeschwerten kleinen Glück des Gastes steckt jede Menge akribische Arbeit und Organisation der Wirte. Wenn z.B. Bärlauch-Zeit ist, ist die Chefin selbst in aller Früh unterwegs, um den Bärlauch frisch zu pflücken. Später ist dafür keine Zeit: Zu den Arbeitsbereichen von Marion Mayr gehören die Küche, das Personal, die Dekoration und die Buchführung. Von Mitte März bis Oktober ist die Kreut-Alm ein Großbetrieb mit zwölf fest angestellten Mitarbeitern und mehr als 30 Aushilfen. An absoluten Spitzentagen gehen im Mittagsgeschäft mehr als 400 Essen über den Tresen, übrigens ohne, dass es in dem weitläufigen Biergarten ungemütlich wird.
"Meine Frau ist für die "Software" zuständig, ich erledige die "Hardware", so Oliver Mayr. Dazu zählen die ständigen Umbau- und Sanierungsarbeiten, aber auch der direkte Kontakt zu schwierigen Gästen genauso wie mit den Behörden. Der Wirt der Kreut-Alm braucht dazu keinen Rechtsanwalt und bei Baumaßnahmen auch nur für die Feinplanung einen Architekten. Anpacken, einstecken, austeilen: Den Mann mit Janker und Hut sollte man sich nicht unbedingt zum Feind machen. Der weiß recht gut, wie man Kontrahenten "gangig" macht.


Der weiß aber auch, dass man Freunden die Treue hält. "Hacker-Pschorr ist seit 80 Jahren der Partner der Familie – ohne jeden Vertrag", erzählt Oliver Mayr. "Wir sind sehr zufrieden, warum sollten wir wechseln?" Der regionalen Küche mit Zutaten aus der Region fühlt sich die Kreut-Alm seit jeher verpflichtet, lange bevor sie zum Trend geworden ist. "Italienisches Mineralwasser käme mir nie auf den Tisch", ergänzt Marion Mayr. Spargel gibt's, wenn er aus Schrobenhausen verfügbar ist. Beim Wein stehen nur noch Winzer aus Deutschland (und ein Südtiroler) auf der Karte. Der Kaffee kommt von der Fa. Burkhof aus Sauerlach. Forellen gibt's frisch aus der Nachbarschaft, die Nachfrage der Gäste nach Werdenfelser Rind steigt stetig. Das Wild wird direkt vom Bayerischen Haupt- und Landgestüt Schwaiganger geliefert, und zwar nicht in Stücken, sondern im Ganzen, sprich wird vom Hausherrn Oliver Mayr aus der Decke geschlagen und küchenfertig zerteilt.

"Wir können ja alles brauchen", so seine Ehefrau. „Alles, was man selber machen kann, bereiten wir in der Küche selber zu. Also brauchen wir z.B. auch Knochen für die Suppen und Fonds." Regionale Lieferanten und Erzeuger sind das A und O auf der Kreut-Alm. "Und sollte am Wochenende wirklich einmal der Schweinsbraten ausgehen, dann liefert unser Metzger notfalls auch am Sonntag Nachschub."
Meist geht aber nichts aus, dazu ist Marion Mayr eine viel zu erfahrene Wirtin. Als die Mutter starb, stand sie als 19-Jährige plötzlich gemeinsam mit dem Vater und der Schwester in der Verantwortung. Wer solche Herausforderungen meistert, der beherrscht sein Geschäft. So spielten zum Auftakt des Kulturprogramms Mitte März die "Cuba-Boarischen" in der Tenne. Der Saal war mit 380 Besuchern voll besetzt. "Bei der Band und der Auslastung brauchen wir 120 Portionen Schweinsbraten", so die Schätzung von Marion Mayr. Ihre Fehlerquote an dem Abend lag bei zwei Portionen!
Zum Thema Globalisierung und regionale Küche weiß die Wirtin der Kreut-Alm eine schöne Geschichte. Ein renommiertes Unternehmen aus Penzberg hatte für Geschäftskunden aus Japan eine Veranstaltung gebucht. Das Speiseangebot sollte bayerische Spezialitäten und Sushi umfassen. Der Kunde ist bekanntlich König, also engagierten die Mayrs für den Abend extra einen Sushi-Koch aus München. "Hinterher war das Spanferkel ratzebutz weggegessen und das Sushi praktisch unberührt geblieben", erzählt Marion Mayr schmunzelnd. "Wenn wir nach Peking fahren, wollen wir ja auch nicht Wiener Schnitzel essen."

Wobei die Geschmäcker sich durchaus ändern. "Die Zeiten, wie in den 1970er- und 1980er-Jahren, als unsere Gäste noch Unmengen Bier getrunken haben, kommen nicht wieder", so die Einschätzung der Mayrs. Bergab ist es mit Radi und Radiserl gegangen. "Wo wir früher 15 Kisten Radi gebraucht haben, reicht uns heute eine", so Marion Mayr. "Der Pressack steht immer noch auf der Brotzeitkarte, wird aber kaum mehr nachgefragt. Aber die Schlachtschüssel, frische Blut- und Leberwürste, sind immer noch ein Renner – genauso wie der selbst gemachte Kaiserschmarrn oder der selbst gemachte Obatzde". Und selbstgemacht heißt hier, von der Chefin persönlich!

Die Kreut-Alm ist zu Fuß, zu Pferd, mit dem Auto, mit dem Regionalbus (kurzer Fußweg vom Freiluftmuseum Glentleiten) und sogar mit dem Hubschrauber erreichbar. Als sie noch in Staatsbesitz war, nahm sich ein umtriebiger Politiker die Zeit, neben China, Togo oder den USA auch die Kreut-Alm häufig mit seinen Besuchen zu beehren – Franz Josef Strauß. "Meist ist Strauß den Helikopter selbst geflogen", erzählt Oliver Mayr.
Das Jägerstüberl, gleich rechts wenn man den Gasthof betritt, war die Lieblingsstube von Strauß und hat deshalb heute den Beinamen "Straußstube". Vor allem Besucher aus dem hohen Norden fragen häufig: "Wo saß der Strauß denn immer?" Und wenn Sie dort Platz nehmen dürfen, sind sie vor Begeisterung kaum zu bremsen.
Die Freundschaft von Gustl Mayr zu Strauß war natürlich Gold wert für die Kreut-Alm. Wo Ministerpräsidenten verkehren, da feiern auch bekannte Firmen gerne. "Mund-zu-Mund-Propaganda ist das wichtigste Hilfsmittel bei der Akquirierung von Festen", so Marion Mayr. "Jede Hochzeit, jeder Geburtstag, der ein Erfolg ist, zieht Folgeaufträge nach sich." Dementsprechend ist die Kreut-Alm bis in den Herbst bis auf zwei Termine für Hochzeitsfeiern ausgebucht. Wer im Mai oder Juni heiraten will, muss mindestens ein Jahr vorher reservieren!

Modernes Marketing ist aber auch kein Fremdwort auf der Kreut-Alm und das beschränkt sich nicht allein auf die Website (samt Webcam im Biergarten). Wer Veranstaltungen in der Tenne besucht, bekommt von den Servicemitarbeitern ein Kärtchen in die Hand gedrückt, auf dem man sich für den Newsletter anmelden kann. Seit einigen Monaten ist Marion Mayr mit wachsender Begeisterung auf Facebook aktiv und hat in der kurzen Zeit schon Hunderte von "Freunden" gesammelt. Wenn eine Veranstaltung ansteht, lässt sie es sich aber nach wie vor nicht nehmen, nachts durch die umliegenden Dörfer zu brausen und Plakate aufzuhängen.
Tradition und Innovation, rustikale Möbel und "wuide Fest": Eine traditionsreiche Gastwirtschaft mit Pfiff wie die Kreut-Alm ist immer ein Spagat, der wunderbar glücken oder grandios in die Hose gehen kann. In der Kreut-Alm begegnet man der Vergangenheit auf Schritt und Tritt, auf alten Fotos, alten Deko-Gegenständen, viel Holz (mehr dazu in der Ambiente-Kolumne von Hanna Raißle im Beihefter "Seitenblicke" in diesem Heft). Aber all diese stummen Zeugen der Vergangenheit erschlagen den Gast nicht, sie machen vielmehr neugierig auf die Geschichten, die dahinter stecken.

Leben in die Bude bringen nicht zuletzt die Wirtsleute, die all die Gegensätze des Betriebs in ihrer Persönlichkeit verkörpern und ausbalancieren. Die Chefin, die auf der Kreut-Alm aufgewachsen ist, setzt sich einfach auf ihre Harley, wenn ihr die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Ihr Mann, Spross einer Wirtefamilie aus Partenkirchen, hat jahrelang in Mexiko mit großem wirtschaftlichen Erfolg Pferde gezüchtet, bevor ihn das Heimweh zurück ins Alpenvorland trieb.
Oben auf ihrer Alm gefällt es den Mayrs so gut, dass sie während der Saison kaum weg wollen. Es gibt ja auch immer viel zu tun: Nachdem der neue Eingang zur Tenne bei den Gästen glänzend angekommen ist, soll demnächst der Eingang zu den Gaststuben neu gestaltet werden. Das alte "Poussierhäusl" (der hölzerne Vorbau, unter dem so manche Gäste zum Abschied heftig geknutscht haben) ist bereits abgerissen worden. Auf der Speisekarte sollen die Gäste noch stärker auf die regionale Herkunft der Zutaten aufmerksam gemacht werden. Dann gilt es, neue Aufträge an Land zu ziehen (wie gerade das Catering beim "Kesselberg-Rennen") und für bewährte Feste das Programm festzuzurren (Welche Bands sollen heuer beim "Harley-Glühn" spielen?)
Beim Stichwort "Harley-Glühn" dürfte unseren Stammlesern ein Licht aufgehen. Wir berichteten im Sommer letzten Jahres darüber, dass die Behörden den Mayrs kurz vor dem Festtermin einen 14 Seiten dicken Auflagenbescheid zugeschickt hatten. Nur weil das Harley-Glühn kurzerhand in abgespeckter Form auf den konzessionierten Grund und Boden beschränkt wurde, konnte das Fest gerettet werden.

Wieder getroffen haben wir Marion und Oliver Mayr dann auf dem Hacker-Pschorr-Wirteforum. Die Brauerei hatte sie extra eingeladen, und die Wirtsleute von der Kreut-Alm hatten auch brav zugesagt. Dann kamen die Zweifel ("Wir haben doch so viel zu tun!") und schließlich sagte Marion Mayr doch ab. Aber Marketingmann Jörgi Baudrexl ließ einfach nicht locker.
Und das war auch gut so. Wär' ja blöd gewesen, wenn die Sieger der "1. Hacker-Pschorr-Gastronomie-Meisterschaft" nicht persönlich anwesend gewesen wären. Solch ein Preis öffnet neue Türen und bringt Anerkennung bei den Kollegen. Oliver Mayr lächelnd: "Dass wir gewonnen haben, hatte sich schon unten im Tal herumgesprochen, noch bevor wir zurück aus München waren."

 

www.kreutalm.de

Dieses Konzept ist im Gastronomie-Report 4/2011 erschienen.