Wiener Brötchen

Darüber sind sich die Gastro-Berater einig: Fast Food in allen Formen gehört zu den Gastro-Betriebstypen, die mit kräftigen Zuwächsen rechnen können. Es muß aber nicht immer Hamburger & Döner sind. Wie man auf der Basis von stinknormalen Brötchen und leckeren Aufstrichen ohne großen Firlefanz ein Fast Food-Imperium aufbauen kann, zeigt der Erfolg des Trzesniewski – Wiens unaussprechlichem Buffet.

Als ich den Geschäftsführer des "Trzesniewski", Herrn Vratil, nach Bildmaterial von dem stadtbekannten Wiener Buffet frage, bringe ich den jovialen Mann doch glatt in Verlegenheit. Er kramt der Form halber ein wenig in seinem Prokuristenschrank herum und fördert außer einem schlanken Prospekt nur einen Bierdeckel zutage, auf dem ein darauf gekritzeltes Pferd mit höchstem Genuss gerade zehn Trzesniewski-Brötchen verdrückt haben will. Wäre Herr Vratil ein Pferd, hätte er ob der lebhaften Nachfrage gut wiehern. So aber meint er fast entschuldigend: "Wissen Sie, das war eine unserer wenigen Werbe-Aktionen. Eigentlich brauchen wir ja für unsere Produkte nicht zu werben. In Wien kennt uns jedes Kind."
Genauer gesagt sollen es, wie eine Umfrage ergab, fast 90 Prozent aller Wiener sein. Dabei war das Betreiben des Buffets erst dann von Erfolg gekrönt, als das polnische Ehepaar mit dem unaussprechlichen Namen in den ersten Bezirk, in die Dorotheergasse, einer Seitenstraße des Grabens, umzog. Dort hat das mittlerweile auf sieben Filialen angewachsene Unternehmen wie vor achtzig Jahren seinen Hauptsitz. Notabene: Genauso wie sich an dem völlig unauffälligen Outfit des Trzesniewski mit seinen drei hohen, undurchsichtigen, eher Dunkelheit als Licht spendenden Glastüren, nichts geändert hat, öffnet Herr Hawelka schräg gegenüber seit Jahr und Tag die abgegriffenen Pforten seines unverändert gebliebenen legendären Cafés.
Direkt nebenan, im Grabenhotel, logierte einst Franz Kafka. Rein theoretisch könnte er in einer seiner Denkpausen schon Trzesniewski-Brötchen verspeist haben. Die heutigen Promis haben freilich einen weitaus größeren Bekanntheitsgrad als der tuberkulöse Versicherungsangestellte zu Lebzeiten. Vom glatzköpfigen Nachtclub-König Schimanko bis zum renommierten Wiener Architekten Hans Hollein – alle schwören sie auf die Brötchen mit dem unvergleichlichen Aufstrich.

Täglich frisch: Zwanzig Sorten Aufstrich

Wobei der Wiener unter Brötchen nicht eine Semmel versteht, sondern schlicht ein kleines Stück Brot. Rund 600 Kilo kastenförmig gebackenes Graubrot werden täglich in die einzelnen Filialen geliefert und dort mit Spezial-Maschinen in ca. drei Zentimeter lange und zehn Zentimeter breite Streifen geschnitten. Die zwanzig verschiedenen Sorten von Aufstrich werden in entsprechender Menge Nacht für Nacht von vier Mitarbeiterinnen in einem Kellerraum unterhalb des Ottakringer Büros zubereitet, um am nächsten Morgen frisch und ohne Konservierungsmittel in die Filialen zu gelangen.
Versteht sich, dass die Rezepte streng gehütete Geheimnisse sind, mag auch ihre Zusammensetzung noch so simpel sein: Speck mit Ei, Gervais mit Ei, Matjes mit oder ohne Zwiebel, Gurke mit Ei, Geflügelleberaufstrich, Gervais mit Zwiebel, Schwedischer Hering, Ei mit Ei(!). Sechs bis sieben Mitarbeiterinnen sind in den Filialen mit Brotschmieren und Verkauf beschäftigt. Und wer schält die vielen Eier? Das dürfte sich Herr Demmer, als er vor fünfzehn Jahren das Buffet von der erbenlos gebliebenen Frau Trzesniewski übernahm, auch gefragt haben und schaffte unter anderem für rund 50.000 Mark eine ebenso effektive wie komplizierte Eierschälmaschine an.
Ob die Entdeckung des Cholesterinspiegels dem Verkauf der Brötchen geschadet habe, will ich noch wissen. Herr Vratil verneint. Man glaubt es ihm gerne. Diese Brötchen, die außerordentlich pikant und wohlschmeckend sind und trotz ihres Eigehalts nicht schwer im Magen liegen, sind ideal für den kleinen Hunger, für die Mahlzeit zwischen den Mahlzeiten. Die Wiener lieben das Reelle. Unbeeindruckt von allen gastronomischen Trends und Gesundheitsmoden essen sie ihre Trzesniewski-Brötchen, die denn auch unverändert nackt wie am ersten Tag, ohne Garnierung, ohne Salatblatt und Petersilie, angeboten werden: 9 Schilling das Stück, auch zum Mitnehmen in praktischen Kartons. Diese Kartons sind gratis, wer es vornehmer haben möchte, für den werden die Brötchen zum Mitnehmen gegen einen kleinen Aufpreis auf einem Alu-Tablett mit Papierdecken angerichtet. "Take away" gilt inzwischen als der Renner. Rund die Hälfte der über 5 Millionen verkauften Stullen wird bereits Zuhause, im Büro, auf Partys, etc. verzehrt.

Mit den Trzesniewski-Brötchen hat sich eine Fast-Food-Idee durchgesetzt, die genial einfach, also einfach genial ist.

 

 

Dieses Konzept ist im Gastronomie Report 1/1997 erschienen.