Wutöschingen, wo liegt das überhaupt? Von München aus gesehen ziemlich am Ende der Welt, hinterm Bodensee, wenige Kilometer vor der schweizerischen Grenze. Aber wie im Märchen, wo hinter den sieben Bergen die Welt noch in Ordnung ist, wartet speziell auf die Kinder in der Wutachperle ein kleines Paradies.
Doch auch die Großen kommen auf ihre Kosten, dafür bürgt die Erfolgsformel: "Sie, lieber Gast + unser Dienst = Gastfreundschaft mit Herz." Damit die Rechnung aufgeht, haben sich die Wirtsleute Silvia und Elmar Ebner jede Menge Überraschungen für die Gäste einfallen lassen.
Post von der Wutachperle an die "kleinen Gäste": "Das müsst ihr sehen, wenn beim Essen auf einmal eine zischende Dampflok über den Köpfen hinwegrollt." Dieses Schreiben geht seit einigen Wochen nach und nach an ca. 700 Kinderadressen, die Wirt Elmar Ebner in den letzten Jahren gesammelt hat. Mit durchschlagendem Erfolg: An den Wochenenden ist derzeit ohne Vorbestellung kaum mehr ein Platz in der Wutachperle zu bekommen.
Die Nachbildung des legendären Wutachtal-Express, genannt "Sauschwänzlebahn" ist nur das letzte Glied einer langen Kette von kinderfreundlichen Ideen und Aktionen. 40m Schienen ließ Wirt Elmar Ebner an der Decke verlegen, per Fernsteuerung kann er den Zug auf die Reise schicken, wann immer die Gäste es wünschen.
"Wir nehmen die Kinder ernst und möchten sie verwöhnen", so der Wirt, der selbst Vater von zwei Kindern ist. Eine Wickelstation fehlt ebenso wenig wie Kinderüberraschungen oder die Malkarte mit Gutscheinverlosung. Den kinderfreundlichen Service erkennt man aber erst so richtig im Detail. Zur Wickelstation heißt es beispielsweise auf der Kinderkarte: "Wenn Sie irgendwas benötigen (Pampers, Öl, etc.), halten wir dies (fett)selbstverständlich(Ende fett) für Sie bereit."
Als Kinderüberraschung erhalten die "kleinen" Gäste eine Klammerfigur und einen Lutscher – auf Wunsch der Eltern aber erst "nach dem leeren Teller" (also als Belohnung fürs Aufessen). Auf der Kinderspeisekarte zum Ausmalen werden die Kinder außerdem zu einem Besuch der Küche -mit ihren Eltern – eingeladen ("damit Ihr auch seht, wo es brutzelt und schmurgelt").
Wer die Kinderkarte ausmalt und ausfüllt, nimmt an einer Verlosung teil – zu gewinnen gibt's einmal im Monat einen Gutschein in Höhe von 50 Mark für ein Spielwarengeschäft. Und das ist längst noch nicht alles. Im Sommer bekommen die Kinder einen Eis-Pass, mit dem es jeden Monat ein Kindereis-Dessert gratis gibt. Im Herbst erhalten die Kids eine VIP Card mit einem Freigetränk. Vor der Wutachperle können sich die Kinder auf einem Spielplatz austoben. – Wundert sich jetzt noch jemand darüber, dass die Wirtsleute Ebner 750 Kinderadressen in ihrer Kundendatei haben?
Man muss aber nicht acht oder elf Jahre alt sein, um in der Wutachperle verwöhnt zu werden. "An erster Stelle steht bei uns der Service", sagt Elmar Ebner. "Wir stellen Gast und Bedienung auf eine Stelle und reden von Gastfreundschaft. Man sieht sich bei uns wieder in die Augen und freut sich miteinander." Klingt arg pathetisch, mag jetzt mancher Leser einwenden. Im Alltag heißt dies, dass der Wirt der Wutachperle seine 15 Mitarbeiter und seine Gäste mit Respekt behandelt. Und ansonsten Taten statt Worte sprechen lässt.
Es sind die vielen kleinen, persönlichen Dinge, die dem Gast in der Wutachperle das Gefühl vermitteln, gerne gesehen zu sein. Bei Reservierungen an Festtagen (z.B. am Muttertag) werden die Gäste mit persönlichen Willkommenskarten (mit dem Namen drauf!) begrüßt, die der Wirt selbst entwirft. Individuelle Tischgestaltung wird groß geschrieben. Bei Tauffeiern sitzt ein Storch am Tisch, bei Festen des Kegelclubs gehören Kegel zur Dekoration, etc.
"Wutachperle … das Erlebnisrestaurant" – mit diesem Slogan wirbt Elmar Ebner für sein Lokal. Und das bedeutet in der Praxis: Der Krabbencocktail wird in der Muschel serviert und aus dem Serviertablett erklingt dazu eine Traumschiffmelodie. Oder: Bei Geburtstagsfesten greift der Wirt zum Akkordeon, seine Frau zur Gitarre und das ganze Team singt ein Ständchen. "Diese Show, die übrigens immer besser wird, machen wir nicht nur aus Idealismus", so Elmar Ebner, "sondern weil man sich etwas einfallen lassen muss, um von all den Übeln unserer Zeit – von der schlechten Wirtschaftslage bis zur Paragastronomie – nicht erschlagen zu werden."
Der Wirt hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Zu den Stationen seiner "Wanderjahre" gehörten eine Konditorausbildung im Cafe Ell in St. Blasien, eine Kochausbildung im Parkhotel St. Leonhard und das Traumschiff "MS Europa", mit dem Elmar Ebner zweieinhalb Jahre als 2. Koch und 2. Patissier auf große Fahrt ging. Die Hotelfachschule Heidelberg schloss er als staatlich geprüfter Gastronom, Konditor und Küchenmeister ab. Vor zehn Jahren übernahm er zusammen mit seiner Frau Silvia den elterlichen Betrieb.
Nach einem Umbau bietet die Wutachperle jetzt rund 200 Sitzplätze (52 Plätze im Restaurant, 20 Plätze im Wälderstadel, 40 Plätze in der Alemannenstube, 20 Plätze im Bäckerstüble, 30 Plätze in der Fledermaus-Bar und 45 Plätze in der Gartenlaube). Die Küche, in der vorwiegend frische, saisonale Produkte verarbeitet werden, konzentriert sich auf regionale Spezialitäten und internationale Gerichte. Selbst Teigwaren, Brot, Kuchen, Gebäck und Süßspeisen kommen aus eigener Herstellung.
Im harten Kampf um das Mittagsgeschäft haben sich Elmar Ebner und seine Crew etwas Besonderes einfallen lassen. Ein Wochenplan mit jeweils zwei Mittagsmenüs zur Auswahl wird am Sonntagabend an eine Reihe von Unternehmen aus der Umgebung gefaxt. Neben zivilen Preisen (12,50 Mark pro Essen) werden schneller Service und leichte Gerichte geboten. Für Stammkunden gibt's ein besonderes Zuckerl: die Abo-Karte für acht Mittagessen für 80 Mark.
Der Hit schlechthin in der Wutachperle sind die Geschenkgutscheine, die Elmar Ebner individuell nach den Wünschen der Gäste anfertigt. "Mit dem Graphik-Programm auf meinem PC ist das kein großes Problem", so der Wirt. Die Karten, die in Folie eingeschweißt werden, kosten ihm in der Herstellung pro Stück rund 50 Pfennige. Von der Arbeitszeit und der Phantasie, die in den liebevoll gestalteten Karten steckt, redet Elmar Ebner nicht.
Die Wutachperle ist ein klassischer, familiengeführter Betrieb. Der Wirt und seine Mutter arbeiten in der Küche und hinter den Kulissen, Wirtin Silvia und der Senior-Chef kümmern sich im Lokal um das Wohl der Gäste. Silvia Ebner zeichnet darüber hinaus für die Dekoration und das Ambiente verantwortlich.
Viele der Ideen der Ebners, die wir hier gar nicht alle aufführen können, dürften auch in anderen Lokalen groß einschlagen. Dazu kommt, dass in der Wutachperle mit geringen finanziellen Mitteln gearbeitet wird. Einen Haken hat die Sache aber doch. Wenn man Elmar Ebner fragt: Wann entwerfen sie denn all die Geschenk- oder Willkommenskarten? Oder: Wann näht ihre Frau denn das lebensgroße Kostüm für den Osterhasen? – Dann lautet die Antwort: "Meist in der stillen Zeit zwischen 1 und 3 Uhr morgens." – Den Preis für konsequente Gästeorientierung zahlen die Wirtsleute – mit ihrer Freizeit.
Dieses Konzept ist im Gastronomie-Report 3/1997 erschienen.
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